Wolfsmond

Eine Ballade von Alica Grimm 
 
 
 
„Wer streift da denn noch nachts im Wald?“,
so aus des Maides Munde schallt.
Knisternd, wie ein Feuerwerk,
schleicht etwas, das jeder bemerkt.
 
„Wer das wohl sein mag?“,
sie vor Neugier sich fragt.
Lässt ihr Wissen nicht gedeihn,
Will ihre Begierde nicht befrein.
 
Länger kann sie's nicht ertragen;
muss es wagen,
muss nachschauen,
muss sich eine Brücke bauen.
 
Raschelnd kommt es immer näher,
Fürchte dich sehr!
Und dann pirscht es aus dem Busch,
kratzt die Maid; nun lauf! Husch, husch!
 
Und keuchend rennt sie zu dem Haus,
schaut geschwind zum Fenster raus,
sieht schwarzes Fell, gelbe Augen als Schlitz',
denn dort nun der Wolfe sitzt.
 
Des Bauers Worte ertönen mit Schreck:
„Läufst du vor dem Wolfe weg?“
Sah die Wunde, Blut und Blut,
„Nein, das ist ja gar nicht gut!“
 
Nun läuft er mit Gewehr hinaus
und der Wolf hockt vor dem Haus.
Blitzend zischte er den Bauern an,
bevor er auf ihn fletschend sprang.
 
Die Maid sitzt dort und denkt, es sei ein Traum,
einer, ohne pinken Flaum.
Einer, der das Blut vergießt,
einer, der quält und 'Alptraum' hieß.
 
Doch der Tod, der war real.
„Hoffentlich das letzte Mal“,
so dacht' die Maid betrübt,
„dass er einen Mord ausübt!“
 
In der ersten Vollmondnacht
sie als weiße Wölfin erwacht.
Läuft ohne Kontrolle in das Geäst
und hält sich am Baume fest.
 
Hat Angst, will fliehen,
will den Wolfspelz ausziehen.
Und was erscheint da – der Wolf
in silberner Silhoulette, der sie nicht fressen wollt.
 
Silbern schien der helle Mond,
hat die arme Frau verschont,
denn weiße Wölfe morden nicht,
haben ein liebliches Gesicht.
 
Nur gute Menschen werden weiß,
bösen macht man die Hölle heiß.
Als schwarzer Wolf fletscht man mit Zähnen,
lacht ohne Hemmung bei fremden Tränen.
 
So laufe nachts nicht in den Wald,
wenn das Gute in dir wallt.
Doch hast du dem Bösen gut gedient,
so hast du Strafe wohl verdient.